23/04: Werden auch Sie Geburtshelferin oder -helfer!

April 2023

AZ-Forum-Beitrag von Manfred Spalinger​, Grüne Weinland, Andelfingen

Krisen begleiten uns durchs Leben: Hunger, Krieg und Terror; Umwelt-, Nuklear- und Chemiekatastrophen; extreme Naturereignisse und Pandemien; Wirtschaftskrisen – ein Ende ist nicht in Sicht! Schon sprechen die Expertinnen und Kommentatoren von der „multiplen Dauerkrise“.

Das nagt am Nervenkostüm der Schweizer. Seit Mitte der 70er Jahre fühlt die Credit Suisse den hiesigen Befindlichkeiten auf den Zahn und veröffentlicht das „Sorgenbarometer“, eine Hitparade der helvetischen Sorgen und Ängste.

Seit 2009 gibt es auch ein „Hoffnungsbarometer“. Dieses befragte 2022 schweizweit über 6'000 Personen zu ihren Zukunftserwartungen und -hoffnungen, aber auch zu den persönlichen „Quellen der Hoffnung“.

Auf dem Hintergrund von Corona, Energiekrise, Ukrainekrieg und CS-Pleite erwarten die meisten Trübsal und Düsternis. Mehr als 60% der Bevölkerung sind überzeugt, dass unsere Lebensqualität in den nächsten 20 Jahren abnehmen wird. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Lebenshaltungskosten, Kriminalität und Gewalt nehmen zu; die mentale Gesundheit der Bevölkerung und die natürliche Umwelt erleiden Schaden. Die Zukunft erscheint desolat und erschreckend: 82% der Befragten erwarten ein „Clash-Szenario“: Die soziale Ungleichheit wird grösser; wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Instabilität bestimmen den Alltag. Das Leben wird unsicherer und härter. Wir scheinen das Vertrauen in eine sinnvolle Zukunft verloren zu haben.

Dabei wünschen sich die meisten eigentlich eine andere Zukunft. Wettbewerb, Wohlstand und technologischer Fortschritt werden zwar nicht rundweg abgelehnt, sind aber für zwei Drittel der Menschen in der Schweiz keine wünschenswerten Visionen für eine bessere Zukunft. Dagegen wünschen sich mehr als 80% der befragten Personen ein nachhaltiges Zukunftsszenario, „eine grünere und harmonischere Gesellschaft, in der Zusammenarbeit, Gemeinschaft und Familie sowie mehr Gerechtigkeit und wirtschaftliche Selbständigkeit im Vordergrund stehen.“

Dies spiegelt sich in den „Quellen der Hoffnung“, welche die erwünschte Zukunft entgegen allen Befürchtungen dennoch als möglich erscheinen lassen: Das Erlebnis der freien Natur; die Unterstützung von Familie und Freunden; Erfolge und Leistungen im Beruf und bei der Lösung von Problemen, oder das Engagement für etwas Gutes und Sinnvolles werden an erster Stelle genannt.

An letzter Stelle steht merkwürdigerweise: „Erfolgreiches politisches Engagement“. – Wir wissen zwar, dass Veränderungen dringend nötig sind und ein Weiter-wie-bisher nicht aus der Krise herausführt. Wie aber soll die erwünschte „grünere“ und nachhaltige Gesellschaft in die Wirklichkeit treten, wenn wir nicht bereit sind – und sei es nur bei Wahlen und Abstimmungen oder bei Unterschriftensammlungen - diesen Hoffnungen politische Geburtshilfe zu leisten?