22/05: Brauchen wir mehr Bio oder eine neue Anbauschlacht?

27. Mai 2022

AZ Forum Interview von Bruno Arnold, Grüne Weinland mit Amadeus Zschunke, Geschäftsführer der Sativa Rheinau AG für biologisches Saatgut.

 

Herr Zschunke, wegen dem Ukraine-Krieg fordern gewisse Kreise eine neue Anbauschlacht und die Abkehr von der Biolandwirtschaft, weil mit konventioneller Landwirtschaft angeblich 50% mehr Ertrag erzielt werden kann.

Amadeus Zschunke: In der Diskussion wird vergessen, dass unser Landwirtschaftssystem auch in hohem Masse von Importen abhängig ist. Es gibt in der Schweiz keine Fabrik, die Mineraldünger produziert. Der kommt in grossem Masse aus ukrainischen oder russischen Werken. Pestizide werden weitgehend in China oder Indien produziert. Störungen der Lieferketten wie bei Corona, können auch die Versorgung mit Dünger oder Pestiziden betreffen. Ohne diese Hilfsstoffe ist die konventionelle Landwirtschaft nicht mehr produktiver. Langfristig gesehen ist die biologische Landwirtschaft krisenresistenter, da sie weniger von Importen abhängig ist.

Sollte die Schweiz aufgrund der unsicheren geopolitischen Lage ihren Selbstversorgunggrad erhöhen?

Es ist sicher sinnvoll, wenn es in allen Ländern eine starke und gesunde Landwirtschaft gibt, die sich auf die Konsumbedürfnisse der jeweiligen Bevölkerung ausrichtet. Ich bin aber nicht einverstanden, wie der Selbstversorgungsgrad berechnet wird: wenn wir Milch, Käse und Fleisch mit Futterimporten produzieren, dann ist das keine wirkliche Eigenproduktion auch wenn die Tiere in der Schweiz stehen. Wenn wir Dünger, Pestizide und Saatgut importieren müssen, sind wir hochgradig vom Ausland abhängig. Beim Selbstversorgungsgrad müsste dies einberechnet werden. In diesem Sinne ist der Biolandbau das produktivere System, dass für mehr Autonomie sorgt.

Der Klimawandel beschert uns zunehmend Wetterextreme mit Trockenheit oder verregneten Sömmern. Wie kann die Landwirtschaft damit umgehen?

Es gibt viele Möglichkeiten, unsere Arbeitsweisen und unsere Systeme anzupassen. Durch die Wahl neuer Kulturpflanzen, durch Anpassungen in der Züchtung usw.. In meinen Augen ist biologische Landwirtschaft grundsätzlich  besser für die Auswirkungen des Klimawandels gerüstet, denn ihre Böden sind biologisch aktiver und haben in der Regel einen höheren Humusgehalt, dadurch erhöht sich z.B. die Wasserhaltefähigkeit, ein Vorteil sowohl bei Starkregen wie bei Trockenheit.

Der Migros-Thinktank GDI fordert, dass wir in Zukunft nur noch künstlich hergestelltes Fleisch konsumieren sollen.

Wir haben in der Schweiz viel Grünfläche, die man nur mit Tierhaltung nutzen kann. Diese Tierhaltung ist eine extensive Landwirtschaft, hat kaum negative Klimaeffekte und braucht wenig Energie. Synthetischer Fleischersatz braucht zur Herstellung viel Energie, die von aussen zugeführt werden muss. Damit ist es eine weniger nachhaltige Lösung, als man glauben machen will. Letztlich stehen dahinter wieder industrielle Interessen für neue Märkte. Mir ist das Original lieber.

Urs Niggli, der ehemalige Direktor der Forschungsanstalt für biologischen Landbau FiBL, sagt Biolandbau könne die Welt nicht ernähren und spricht sich für die moderne Gentechnik aus.

Ich teile seine Ansicht an dieser Stelle nicht. Der Biolandbau kann dann die Welt ernähren, wenn der systemische Ansatz, den er in der Produktion verfolgt auch in den anderen Bereichen berücksichtigt würde. Ein viel zu grosser Anteil dessen, was produziert wird, geht bei Lagerung, Transporte und als Food Waste verloren. Zudem essen wir in den Industriestaaten insgesamt zu viel Fleisch, mit den bekannten Nebenwirkungen, auch auf die menschliche Gesundheit. Hier gibt es Handlungsbedarf.

Der Effekt, den die neue Genschere leisten kann, wird meiner Meinung nach sowohl für die konventionelle wie für die Biolandwirtschaft überschätzt. Man kann bestimmte Gene schneller einbauen oder abschalten, aber damit sind noch lange keine guten neue Sorten entstanden. Wir wissen nicht, welche Eigenschaften wir unbewusst verändern, wenn wir ein vermeintlich effizientes neues System verwenden.

Diesen Herbst stimmen wir über sie Massentierhaltungs-Initiative ab. Droht der Landwirtschaft erneut eine Zerreisprobe wie bei der Trinkwasserinitiative?

Für mich stehen bei diesen Initiativen der gesellschaftliche Diskurs im Vordergrund, weniger das konkrete Ergebnis am Abstimmungstag. Dank der Initiativen können Diskussionen geführt werden, die ohne sie nicht oder viel später geführt würden. Das ist grundsätzlich positiv. Die Situation und das Bewusstsein in der Bevölkerung und der Politik als Ganzes ist nach einer Abstimmung immer anders als ohne sie. Ich erwarte bei der Massentierhaltungs-Initiative weniger Zerreisproben.

Können wir es schaffen das Klima zu retten, die Biodiversität zu schützen und die Welt zu ernähren oder müssen wir uns entscheiden?

Das können wir immer noch schaffen, ich bin weiterhin optimistisch. Aber es kann nicht gelingen, wenn wir nach dem Prinzip leben: Wasch mich, aber mach mich nicht nass.