22/04: Aktive Neutralität, aber keine passive Aussenpolitik

1. April 2022

AZ-Forum-Beitrag von Patrick Tributsch, Grüne Weinland, Hünikon

 

Seit 24. Februar 2022 drängt sich die Frage nach einer kritischen Auseinandersetzung mit unseren Grundwerten und der Bedeutung der Neutralität für die Schweiz auf.

 

Die Grundlage unserer nationalen Sicherheit sind die Hochachtung von Völker- und Menschenrechten und der Grundsatz der bewaffneten Neutralität. Aber entgegen der landläufigen Meinung ist unsere Neutralität nicht selbst gewählt, sondern wurde 1815 am Wiener Kongress durch die damaligen europäischen Grossmächte Österreich, UK, Preussen und Russland der Schweiz auferlegt.

 

Gemäss dem völkerrechtlich anerkannten Neutralitätsrecht gilt die Pflicht zur Unparteilichkeit und meint damit die Nichtteilnahme an einem bewaffneten Konflikt, weder mit Soldaten noch mit Waffen. Aber die Neutralität selbst ist weder in den aussenpolitischen Zielsetzungen noch im Staatszweck unserer Bundesverfassung verankert.

 

Die Schweiz hat im Laufe der letzten 207 Jahre ihre auferlegte Neutralität immer als Mittel zum Zweck gesehen und dem jeweiligen aussen- und sicherheitspolitischen Umfeld angepasst. So konnten wir uns unsere Eigenständigkeit bewahren und sie hat uns erlaubt, in kriegerischen Konflikten humanitäre Hilfe und diplomatische Bemühungen zur Schlichtung und Vermittlung zu leisten.

 

Um eine weitere Eskalation und damit eine Ausweitung des Konflikts auf ganz Europa zu verhindern, haben die EU, UK und die USA umgehend wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland verhängt. Dieses wirtschaftliche Druckmittel dient einzig dem Zweck, Russland auf eine völkerrechtliche Lösung am Verhandlungstisch zu drängen. Russlands Wirtschaft ist auf einen funktionierenden Aussenhandel angewiesen. Dabei spielt die Schweiz eine wichtige Rolle: 80% russischer Rohstoffe werden über die Schweiz gehandelt und darüber hinaus sind bis zu 150 Milliarden Franken russischer Finanzkunden in der Schweiz gebucht.

 

Hätte sich die Schweiz gegen die Übernahme der internationalen Sanktionen gestellt, hätten wir eine Situation wie in den 70er und 80er Jahren in Südafrika mit dem Apartheid Regime geschaffen: Die Schweiz hielt sich nie an verhängte UN Embargos und unterlief Sanktionen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Schweizer Unternehmen hatten keine Skrupel, mit Südafrika weiterhin Handel zu treiben und dadurch Hand zur Umgehung der Sanktionen zu bieten - Profit vor Menschenrechte. Diese langjährige Missachtung brachte unser Land in Misskredit und hat das Apartheid Regime viel zu lange an der Macht gehalten.

 

Die Forderung nach kompromisslosem Raushalten aus fremden Händel und die erneute militärische Aufrüstung mit mehr Waffen und Soldat:innen befeuert weiteres Misstrauen, nährt nukleare Bedrohungsängste und verfestigt Feindbilder. Dieses Denken wirft uns um 33 Jahre zurück in den Kalten Krieges.

 

Mit einer Erhöhung unserer Rüstungsausgaben gewährleisten wir weder unsere Sicherheit, noch die der Ukraine oder helfen den NATO-Partnern. Wollen wir wirklich wieder zurück in eine Zeit des Kalten Kriegs, in der jederzeit ein Konflikt eskalieren kann?

 

Angesichts der ohnmächtigen Situation in der Ukraine ist die Fürsprache für weitere Abrüstung und Diplomatie nicht sehr populär. Und doch ist es wichtig, gerade jetzt die richtigen Weichen für unsere zukünftige Sicherheits- und Aussenpolitik zu stellen.